Ohne Fachkräfte kein Angebot

Strategien gegen den Personalmangel

Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe braucht einen Booster: Sie sollte – über alle Berufsgruppen hinweg - mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Das schließt auch eine bessere Bezahlung mit ein. Und sie sollte sichtbarer werden. Anders ist dem heute bereits gravierenden Mangel an Personal, das mit einem Schrumpfen des Leistungsangebot einhergeht, nicht beizukommen.

Der Mangel an Ärzten und Pflegekräften schafft es regelmäßig prominent in die Berichterstattung von TV-Sendern, Zeitungen und Online-Portalen. Dass im Bereich der Eingliederungshilfe der Mangel an Fachkräften (Heilerziehungspfleger, Erzieher, Pädagogen…) ebenso bedrohliche Ausmaße angenommen hat, spielt hingegen medial sehr viel seltener eine Rolle. Dabei gilt auch hier: Ohne diese Fachkräfte können Anbieter von Teilhabeleistungen ein qualitätsgesichertes Angebot nicht mehr umfänglich aufrechterhalten. Die Folge: Der Abbau von Angeboten hat längst begonnen.

Während die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigung wächst und aufgrund einer steigenden Lebenserwartung und des medizinischen Fortschritts mehr und multiplere Bedarfe, etwa nach Pflege, entstehen, schrumpft zugleich das Interesse daran, in der Eingliederungshilfe als Fachkraft seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels in der Eingliederungshilfe, der im Zuge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eine tiefgreifende Transformationsleistung von den Leistungsanbietern und ihren Beschäftigten verlangt: weg von der Fürsorge-Einrichtung hin zum Ermöglicher selbstbestimmter Teilhabe. Eine Mammut-Aufgabe. Der zu wenig Beachtung zuteilwird.

Einrichtungsplätze können nicht wiederbesetzt werden

Immer mehr Einrichtungen, Verbände und Institutionen weisen auf den oben beschriebenen bedrohlichen Status quo beim Personal seit Jahren hin. In jüngster Zeit werden sie unüberhörbar. So stellte etwa erst Ende 2023 der Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) auf der Grundlage einer repräsentativen Befragung unter seinen Mitgliedseinrichtungen fest, dass der Fachkräftemangel in den Einrichtungen der Behindertenhilfe „immer gravierender“ werde.  Die Mehrheit der Befragten gab dabei an, im ersten Halbjahr 2023 stark von den Auswirkungen des Fachkräftemangels betroffen zu sein. So bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräfte-Stellen länger als sechs Monate unbesetzt. Dieser dramatische Personalmangel habe nicht nur organisatorische Konsequenzen, sondern wirke sich auch direkt auf die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aus, stellt der BeB fest. Demnach bestätigt eine Mehrheit von 53 Prozent der Befragten, dass die Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung dazu geführt haben, dass Einrichtungsplätze nicht wiederbesetzt werden konnten. Anfragen von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen müssen also abgelehnt werden.

Laut Pfarrer Frank Stefan, Vorstandsvorsitzender des BeB, verdeutlichen die Umfrage-Ergebnisse „in alarmierendem Maße die Notwendigkeit, Sofortmaßnahmen zur Sicherung qualifizierten Personals in der Eingliederungshilfe zu ergreifen.“ Der anhaltende Fachkräftemangel bedrohe die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und stelle eine ernste Herausforderung für die Einrichtungen dar. „Die Diakonie Deutschland und der BeB appellieren daher an Politik, Gesellschaft und Interessenvertreter:innen, gemeinsam Lösungen zu finden.“ Sie erwarten vom Bund, „einen Runden Tisch zu initiieren“, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, so Stefan.1

Auch der Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) verweist auf die Brisanz des Personalmangels. Mitglieder des CBP aus allen Bundesländern meldeten, „dass sie zunehmend Teilhabeangebote und Teilhabeleistungen, auf Grund von Personalmangel und Fachkräfteengpässen, nicht mehr in vollumfänglicher Qualität aufrechterhalten können und Angebote in familienunterstützenden Diensten, tagesstrukturierenden Angeboten sowie Angebote in besonderen Wohnformen sogar geschlossen werden müssten“, so der Verband. Die Konsequenzen seien „verheerend“. Zum einen für die Menschen mit Behinderungen, die ihr Recht auf Leistungen im Rahmen der Teilhabe nicht beanspruchen könnten. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass Angehörige „die Begleitung und Betreuung der Menschen mit Behinderungen übernehmen und, dadurch bedingt, gegebenenfalls auf eine eigene Erwerbstätigkeit verzichten müssen“, beschreibt der CBP die Konsequenzen.2

Gewerkschaft: Bezahlung und Arbeitsbedingungen verbessern

Dass der Mangel an Fachkräften und der fehlende Nachwuchs in der Behindertenhilfe auch auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist, haben Wissenschaftler der TU Darmstadt im Rahmen einer von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Branchenstudie bereits im Jahr 2021 erheben können. Einige der zentralen Ergebnisse aus der Befragung von über 8000 Beschäftigten in der Behindertenhilfe lauten:

  • „Die Arbeitszeiten sind in hohem Maß entgrenzt, insbesondere im Wohnbereich. 36,4 % der Beschäftigten im Wohnbereich arbeiten gelegentlich oder regelmäßig in geteilten Diensten.
  • Es fehlt an Personal. 48,4 % der Beschäftigten denken darüber nach, ihren Job aufzugeben.
  • Die Belastung ist hoch. 60,8 % sind in den vergangenen zwölf Monaten krank zur Arbeit gegangen.
  • Die Versorgungsqualität leidet. Nur 21,2 % der Beschäftigten haben genug Zeit, um auf Bedarfe und Anforderungen von Klient*innen eingehen zu können.
  • Gewalt ist ein wichtiges Thema. 10,1 % der Beschäftigten erleben täglich Beschimpfungen und 5,7 % körperliche Übergriffe gegen sich selbst.
  • Anforderungen an die Beschäftigten wachsen. 79,7 % berichten von zusätzlichen Anforderungen an ihre Arbeit infolge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG).
  • Das Einkommen ist unangemessen. 77,3 % halten ihr Einkommen nur in geringem Maß oder gar nicht für angemessen.“3

Bei diesen Bedingungen sei es nicht verwunderlich, dass freie Stellen zunehmend nicht besetzt werden könnten, schlussfolgert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit Verweis auf diese Befragungsergebnisse. Sie adressiert folgende Forderung an die Arbeitgeber: „Damit der Personalmangel in der Behindertenhilfe gestoppt wird, müssen Bezahlung und Arbeitsbedingungen attraktiv gestaltet werden. Nur dann können Beschäftigte ihren Beruf gesund bis zur Rente ausüben und wandern nicht in andere Bereiche ab. All jenen Beschäftigten, die Vollzeit arbeiten möchten, sollte dies auch möglich sein“.4

Auch Verbände und Einrichtungsträger der Eingliederungshilfe haben ihre konkreten Forderungen an die Politik, mit welchen Maßnahmen dem Fachkräftemangel zu begegnen ist. Exemplarisch hierfür sei an dieser Stelle auf ein Positionspapier des Oberlinhaus, ein diakonischer Träger von 25 Standorten vorwiegend im Land Brandenburg, verwiesen, welches dieser mit Pressemitteilungen über das Jahr 2023 hinweg in den Fokus gerückt hat. Die Kernforderungen darin lauten:

  1. Berufe in der Eingliederungshilfe als Mangelberufe anerkennen.
  2. Das Schulgeld für die Ausbildung in der Heilerziehungspflege bundeseinheitlich abschaffen.
  3. Eine bundeseinheitlich geregelte Ausbildung für Heilerziehungspfleger:innen
  4. Eine bundesweite Werbekampagne für Freiwilligendienste als Einstieg in soziale Berufe.
  5. Einfachere Qualifizierung für Nicht-Fachkräfte und Quereinsteigende.
  6. Die Überarbeitung des Fachkräfteerlasses in Brandenburg.
  7. Deutliche gesetzliche Regularien für Zeitarbeit in der Eingliederungshilfe.
  8. Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen bei der Lösung des Fachkräftemangel-Problems.
  9. Bundesweite Aktionen zur Aufwertung der Berufe in der Eingliederungshilfe/ Teilhabe.
  10. Mehr barrierefreien Wohnraum für ambulante Angebote.5

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Autor: Darren Klingbeil
Foto: Adobe Stock