Arbeits- und Fachkräftemangel

Internationale Anwerbung professionalisieren

Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften in der Behindertenhilfe spitzt sich seit Jahren zu. Um die Personallücken zu schließen, ist auch die Anwerbung internationaler Fach- und Arbeitskräfte ein Mittel der Wahl. In ihren Forderungen zur Bundestagswahl greifen die großen Verbände das Thema deshalb auf und fordern u.a. bundesweit einheitliche Regelungen und Zuständigkeiten.

Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer Befragung des Evangelischen Bundesfachverbands für Teilhabe (BeB) unter Mitgliedern vom Herbst 2024 bleiben bei 60 Prozent der befragten Einrichtungen und Dienste Fachkräftestellen mehr als sechs Monate unbesetzt.1 Die verzögerte Besetzung offener Stellen führe dazu, dass Angebote zurückgefahren werden müssten,  Arbeitsbelastungen sich erhöhten und die Versorgungssicherheit von Menschen mit Behinderung gefährdet sei, warnte der BeB. Es sei jetzt an der Zeit, dass die Politik entschiedene Maßnahmen ergreift, um die Versorgung sicherzustellen, forderte Pfarrer Frank Stefan, Vorstandsvorsitzender des BeB. Dazu gehöre die Abschaffung des Schulgeldes und die Refinanzierung der Ausbildung. Auch müsse „Menschen aus anderen Staaten der Zugang zu Ausbildung und Beruf deutlich erleichtert werden“.

Die Forderung aus der Eingliederungshilfe, auch internationalen Kräften den Zugang zu Arbeitsplätzen in der Behindertenhilfe leichter zu ermöglichen, ist nicht neu. Doch im Gegensatz zu den Bereichen der Pflege und der medizinischen Versorgung schafft es die internationale Anwerbung von Menschen für die Eingliederungshilfe kaum wahrnehmbar auf die To-Do-Liste der Politik.

Dabei hatte es noch im Jahr 2023 – als die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformierte – einen gemeinsamen Vorstoß der fünf Fachverbände für Menschen mit Behinderung gegeben, um auf die Notwendigkeit vereinfachter Einwanderung auch für ihren Leistungsbereich hinzuweisen.2 Zum Abschluss ihrer 87. Konferenz in Berlin machten die Verbände im April 2023 nochmal deutlich, welche Faktoren die Gewinnung ausländischer Fachkräfte in erster Linie verhinderten:  

  • die Anforderungen für die Erteilung von Visa,
  • schleppende und mangelnde Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse sowie
  • zu hohe Hürden der Deutschprüfungen.

Für Arbeitskräfte aus dem Ausland müsse es leichter werden, eine Ausbildung zu beginnen oder eine Arbeit aufzunehmen. Die Verbände begrüßten deshalb damals den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung „als ersten Schritt“. Die Initiative der Bundesregierung zur Stärkung der Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften betrachteten sie damals als „dringend nötig – auch für die Eingliederungshilfe“. Menschen mit Behinderung dürften bei diesem Vorhaben „nicht vergessen werden“, erinnerten sie seinerzeit – auch gegenüber Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundessozialministerium (BMAS), der im Nachgang der Gespräche wie folgt von den Fachverbänden zitiert wurde: „Die aktuellen Gesetzesvorhaben sind wichtige Bausteine für die zusätzliche Gewinnung von Fachkräften: Im Inland mit dem Weiterbildungsförderungsgesetz und mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz für eine erfolgreiche Fachkräftegewinnung aus dem Ausland. Wir brauchen mehr Arbeitskräfte für die Unterstützung von Menschen mit Behinderung. Hier gilt es, gemeinsam ganz pragmatisch aktiv zu werden: Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung und die zuständigen Ressorts auf Länder- und Bundesebene – jede und jeder in seiner Verantwortung."

Es tut sich zu wenig

Seither sind schon wieder rund zwei Jahre ins Land gegangen. Passiert ist kaum etwas. Immerhin gibt es mittlerweile auf Länderebene die ein oder andere Initiative, die darauf hindeutet, dass die Dringlichkeit des Fach- und Arbeitskräftemangels in der Eingliederungshilfe auch bei politisch Verantwortlichen allmählich ins Bewusstsein sickert.

So unterstützt aktuell etwa das baden-württembergische Sozialministerium mit Mitteln der Europäischen Union und des Landes Baden-Württemberg die Assistierte Ausbildung in Pflegehilfe und Alltagsbetreuung sowie erstmals auch in Heilerziehungspflege und Heilerziehungsassistenz. „Wir erhöhen das Fördervolumen bei diesem Aufruf kräftig um 1,5 Millionen Euro auf rund fünf Millionen Euro“, sagte Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha laut Pressemitteilung vom 27. Juni 2024.  Diese Mittel kommen aus dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) und werden durch Landesmittel ergänzt. Die geförderten Projekte richten sich vor allem an junge Menschen unter 25 Jahren. Es können aber auch Personen bis 45 Jahre oder älter teilnehmen, etwa Berufsrückkehrerinnen oder Alleinerziehende. Wegen ihrer besonderen Benachteiligung auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sollen Alleinerziehende und Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund bevorzugt aufgenommen werden.3

Konzertierte Aktion erforderlich

Bei solchen Förderprojekten kann es aber aus Sicht der Behindertenhilfe nicht bleiben. Ein viel größerer Wurf sei erforderlich, unterstrich etwa die Lebenshilfe und fordert in ihrem im August 2023 veröffentlichten Papier mit dem Titel „Politische Forderungen zum Fachkräftemangel“ einen „Gipfel zum  Arbeits- und Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe“. An diesem Gipfel sollen nach dem Willen der Lebenshilfe alle Stakeholder teilnehmen: das Bundessozial- und das Bundesfamilienministerium, die Kultusministerkonferenz, Berufsverbände der beteiligten Berufsgruppen und ggf. ver.di, Vertreter der Eingliederungshilfeträger, Verbände der Leistungserbringer, Dachverbände von Schulen und Hochschulen und nicht zuletzt Verbände der Menschen mit Behinderung. Neben diversen Verbesserungsvorschlägen zur Aufwertung der Berufsbilder in der Eingliederungshilfe greift das Papier auch den Aspekt des Zugangs internationaler Kräfte auf und fordert explizit: „Erleichterungen bei der Anerkennung internationaler Bildungsabschlüsse einschließlich der Gewährleistung zügiger Verfahren und anderer Rahmenbedingungen wie Deutschkurse.“4

Konkrete Verbesserungsvorschläge der Verbände

Ihren Forderungen nach einem strategischen Vorgehen in der Anwerbung internationaler Fach- und Arbeitskräfte und der schnelleren Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse verleihen auch die anderen großen Verbände der Behindertenhilfe in ihren zur Bundestagswahl 2025 veröffentlichten Wahlprüfsteinen Nachdruck.

Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) etwa erinnert in seinen „Forderungen“ an die Politik für die Wahlperiode 2025 bis 20295, dass Einrichtungen und Dienste der Eingliederungshilfe bereits heute auf ausländisches Personal angewiesen seien, „um ihre Teilhabeleistungen sicherzustellen. Ohne eine gezielte Gewinnung und Integration von Fachkräften aus dem Ausland wird es den Einrichtungen zunehmend unmöglich, die notwendigen Leistungen in der erforderlichen Qualität und Quantität zu erbringen.“ Vor diesem Hintergrund fordert der Verband:

  • „alle ausländerrechtlichen Regelungen für Arbeits- und Fachkräfte sowie die Anerkennung ausländischer Fachkräfte in einem Gesetz zusammenzuführen und eine Behörde (z. B. die Bundesagentur für Arbeit) mit der Bearbeitung zu beauftragen,
  • eine branchenspezifische Zuwanderungs- und Bildungsinitiative im Ausland,
  • die Implementierung digitaler Anerkennungsverfahren für ausländische Fachkräfte,
  • die Förderung berufsbereichsspezifischer Berufssprachkurse (BSK) im Bereich der Eingliederungshilfe für ausländische Arbeits- und Fachkräfte.“

Verfahren zur Arbeitskräfte-Einwanderung seien zu entbürokratisieren, führt der CBP aus und begründet seine Forderung so: „Für Einrichtungen und Dienste der Eingliederungshilfe ist die Integration ausländischer Fachkräfte ein zentraler Baustein, um den wachsenden Fachkräftebedarf zu decken und ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Die aktuellen bürokratischen Hürden erschweren die Rekrutierung und Verzögern die Einstellung dringend benötigter Fachkräfte.“ Um den Betrieb der Einrichtungen sicherzustellen, seien folgende Vereinfachungen und beschleunigte Verfahren erforderlich:

  • „die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle bei der Bundesagentur für Arbeit, die als Ansprechpartner für alle beteiligten Behörden dient und ein einheitliches Verfahren etabliert,
  • die Beschleunigung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, um die Integration von Fachkräften in den Arbeitsmarkt zu erleichtern,
  • die Reduktion von Fristen und Optimierung der Abläufe durch digitale Lösungen und verbindliche Verfahrensstandards.“

Auch der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. (bvkm) greift in seinen Wahlprüfsteinen zur Bundestagswahl6 das Thema ausländische Fach- und Arbeitskräfte auf und bettet dieses ein in seine Forderungen zur Stärkung der Berufsbilder in der Eingliederungshilfe. Nach den Investitionen des Bundes in die Arbeitsbedingungen für Erzieher:innen und Pflegekräfte müsse „nun der Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe prioritär angegangen werden“, fordert der bvkm und fordert ein Gesamtkonzept, „um den personellen Bedarfen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft insgesamt zu begegnen. Gegenseitige Schwächungen der Leistungsbereiche untereinander gelte es zu verhindern.“  Bei der Akquise von Personal aus dem Ausland gelte es, „Anerkennungsverfahren zu vereinfachen, Aufenthaltserlaubnisse zu beschleunigen und zentrale Koordinierungsstellen einzurichten“. Hierfür seien „zentrale Stellen/Netzwerke auf Landes- und/ oder Bundesebene zu etablieren“.

In seinen „5 Wahlforderungen“ platziert auch der BeB das Thema „Fach- und Arbeitskräfte gewinnen und binden“ als eines der drängendsten, die auf die politische Agenda gehören.7 Die Gewinnung von Menschen aus dem Ausland ist dabei eines der Themen, das Lösungen bedarf. Denn: „Viele Einrichtungen bemühen sich mit einem enormen Aufwand um die Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften im In- und Ausland. Leider scheitern sie allzu oft an bürokratischen Hürden, wie zum Beispiel der Probleme bei der Anerkennung der Ausbildung und der unterschiedlichen Handhabung in den Bundesländern“, stellt der Verband fest und fordert eine „Gesamtstrategie von Bund und Ländern für die Fach- und Arbeitskräftegewinnung“. Das bereits oben erwähnte Fachkräfteeinwanderungsgesetz betrachtet der BeB als einen ersten Schritt. Nun sei eine „vom Bund gesteuerte Strategie für eine Gewinnung und Anerkennung von ausländischen Fachkräften für die Eingliederungshilfe“ notwendig. Unter den Bausteinen zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften listet der Verband u.a. folgende Maßnahmen:

  • „Abbauen von Bürokratie bei der Anerkennung von inländischen und ausländischen Fachkräften.
  • Schaffen eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und entsprechender Vereinbarungen

mit anderen Ländern für die Eingliederungshilfe.

  • Verankern einer zentralen Stelle in Bund und Ländern für die Gewinnung von Fachkräften im Ausland.
  • Vereinfachen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.
  • Etablieren einer Bund-Länderübergreifenden Heilerziehungshelfer-Ausbildung,
  • die insbesondere für Quereinsteiger*innen geeignet ist.
  • Verbessern des Angebots für Sprachkurse.“

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Autor: Darren Klingbeil
Foto: Adobe Stock