Klimaschutz in der Sozialwirtschaft

Einrichtungen übernehmen Verantwortung

Bei den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Akteure der Sozialwirtschaft geradezu prädestiniert, als gesellschaftliche Akteure mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn Träger, Vereine und Verbände der Behindertenhilfe und Pflege sind wichtige Multiplikatoren. Aktuelle Best-Practice-Beispiele zeigen, dass sich viele dieser Verantwortung immer bewusster und mit wachsendem Erfolg stellen. Dabei entstehen gute Ideen, die sich zur Nachahmung empfehlen.  

Seien es große Wohlfahrtsverbände wie Arbeiterwohlfahrt (AWO), Caritas oder Diakonisches Werk oder einzelne Träger und Selbsthilfevereinigung, wie die Lebenshilfe: Immer mehr Akteure der Sozialwirtschaft schreiben es sich auf die Fahne, den Klimaschutz in Deutschland mit gezielten Nachhaltigkeitsstrategien voranzubringen. Mit ihrer Vielzahl an Mitarbeitenden und ihren vielfachen Kontakten zu anderen Wirtschaftszweigen (Lebensmittel-Lieferanten, Wäschereien, Fuhrparkanbietern, Energie-Unternehmen, Bauwirtschaft etc.) sind Sozialunternehmen dabei ein wichtiger Multiplikator, den Klimaschutzgedanken weiter in der Gesellschaft zu verankern. Sie sind also Vordenker, besser gesagt ‚Voran-Geher‘. Denn über das Nachdenken zu Klimaschutzaktivitäten sind viele Verbände und Einrichtungen längst hinaus. Sie setzen die Maßnahmen mittlerweile um und erhöhen damit den Druck auf Politik und Gesellschaft, die Anstrengungen hinsichtlich selbst gesteckter aber hierzulande nach wie vor nicht erreichter Klimaschutzziele zu intensivieren.

Appell: „Ideen und Lösungsansätze“ der Wohlfahrt nutzen

Eines der bekanntesten Beispiele für Klimaschutzanstrengungen in der Behindertenhilfe und in der Pflege ist das im Februar 2024 beendete Projekt „klimafreundlich pflegen – überall!“ der AWO.  In dem über drei Jahre angelegten und von der Bundesregierung im Rahmen der „Nationalen Klimaschutzinitiative“ geförderten Projekt wurden 90 beteiligte AWO-Einrichtungen aus den Bereichen Pflege und Behindertenhilfe zunächst darin unterstützt, ihren CO2-Fußabdruck zu ermitteln. Anschließend haben sie konkrete Klimaschutzstrategien und Maßnahmen (etwa in der Reduzierung von Lebensmittelabfällen oder bei der Energieeinsparung) entwickelt, um ihre Emissionen in der jeweiligen Einrichtung zurückzufahren.

Damit diese Anstrengungen aus der Praxis der Mitarbeitenden in den Pflege- und Behindertenhilfe-Einrichtungen nach Projektende nicht verhallen, fordert die Wohlfahrt von Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren aber ihrerseits ein Umdenken. Entsprechend setzte Claudia Mandrysch, Vorständin des AWO Bundesverbands, das Projekt „klimafreundlich pflegen – überall“ auf der Abschlussveranstaltung am 27. Februar 2024 in Berlin in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext und forderte: „Um Klimaschutz in der sozialen Arbeit zum Erfolg zu machen, brauchen wir die Unterstützung der Kostenträger, Kommunen, Ministerien und vieler weiterer Akteur:innen. Mein Appell an die Politik ist daher: Nutzen Sie unsere Potentiale in der Freien Wohlfahrt, erkennen Sie sie als Chance, einen viel größeren Hebel zu nutzen. Wir haben Ideen und Lösungsansätze, welche Maßnahmen als Gesamtpaket zu definieren wären, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen.“1

Mitstreiter der AWO in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist auch der Paritätische Gesamtverband. In seinem Projekt „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“ begleitet der Paritätische 67 Mitgliedsorganisationen mit jeweils einer Einrichtung dabei, ihren CO2-Fußabdruck zu analysieren, Möglichkeiten des betriebsinternen Klimaschutzes zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dafür benenne jede Einrichtung „eine Person als Klima-Scout, die den Prozess des Klimaschutzes in der Einrichtung als Multiplikatorin vorantreibt“, erklärt der Verband auf der Website zum Projekt.2 Der Verband unterstütze die Klima-Scouts „in ihrem Vorhaben, indem wir Schulungen und Veranstaltungen organisieren, Handreichungen und Arbeitshilfen erstellen, und eine Kommunikationsstruktur aufbauen, die ein Peer-Coaching der Klima-Scouts untereinander ermöglicht“. Neben den Klima-Scouts würden auch Leitungskräfte der teilnehmenden Einrichtungen in eigenen Formaten für das Thema Klimaschutz sensibilisiert und geschult.

Aktuelle Broschüre mit vielen Praxis-Tipps

Gemeinsam mit der AWO hat der Paritätische im Dezember 2023 eine praxisnahe Broschüre mit dem Titel „Klima schützen und Gesundheit fördern – Schritte zu Klimaneutralität in Pflegeeinrichtungen und besonderen Wohnformen“ veröffentlicht.

Warum es für die Einrichtungen und Wohnformen wichtig ist, diese Schritte in der Praxis zu gehen, unterstreichen die Herausgeber in einer Pressemitteilung anlässlich der Veröffentlichung der Broschüre auf der Website klimafreundlich-pflegen.de.3 Denn eine durchschnittliche Einrichtung habe „einen CO2-Fußabdruck von sieben Tonnen CO2 pro Bewohner:innenplatz pro Jahr. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die Emissionen auf eine Tonne CO2 pro Platz und Jahr reduziert werden.“  Allein innerhalb der Wohlfahrtspflege lebten rund 560.000 Menschen in stationären Einrichtungen der Altenhilfe und etwa 200.000 in besonderen Wohnformen, führen die Herausgeber weiter aus. „Die Einrichtungen und Träger bestimmen die Lebensumgebung dieser Menschen und somit auch maßgeblich ihren CO2-Fußabdruck. Es liegt also in ihrer Hand, die Bewohner:innen zu einem nachhaltigen Leben zu befähigen.“

Die Broschüre hat das Ziel, die Einrichtungen in der Pflege und Anbieter besonderer Wohnformen „auf dem Weg zu mehr Klimaschutz“ zu begleiten. Hierzu liefert sie neben Informationen zu den gesundheitlichen Folgen der Klimakrise, zu einem guten kommunikativen Umgang damit und zu einer strategischen Herangehensweise vor allem praktische Tipps zu Klimaschutzmaßnahmen in den Bereichen Energie, Verpflegung, Mobilität, Hauswirtschaft, Verwaltung und Beschaffung. Wie diese Tipps in der Praxis umsetzbar sind, stellt die Broschüre anhand von Praxisbeispielen aus realen Einrichtungen dar.

Wie praxistauglich die Empfehlungen dabei sind, wird etwa im Kapitel zur Reduzierung von Speisenabfällen in der Gemeinschaftsverpflegung deutlich. Unter der Zwischenüberschrift „Die Ausgabe der Speisen“ führen die Verfasser:innen aus, wie Mitarbeitende allein in diesem einen Prozessschritt nachhaltiger vorgehen können:

„Bei der Ausgabe bzw. Portionierung der Speisen kann anhand einer genauen und zielgruppengerechten Portionsgröße ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung der Tellerreste geleistet werden. Um zu gewährleisten, dass die Portionsgrößen den Vorgaben entsprechen, können verschiedene Strategien genutzt werden:

  • Kellenplan: Kellen oder andere Portionierungshilfen können die Mitarbeitenden an der Ausgabe dabei unterstützen, möglichst genaue Mengen abzumessen. Durch verschiedene Kellengrößen kann bei jedem Menü für alle unterschiedlichen Komponenten eine geeignete Kelle ausgewählt werden.
  • Auswaage der Portionen: Die ersten Portionen einer täglichen Ausgabe können auch mithilfe einer handelsüblichen Küchenwaage ausgewogen und mit den Vorgaben aus der Rezeptur abgeglichen werden. Nach etwa fünf bis zehn Portionen pendelt sich die korrekte Portionsgröße ein.
  • Musterteller: Je nach Ausgabesystem kann ein sogenannter Musterteller den Bewohner*innen einen Anhaltspunkt für die vorgesehene Portionsgröße liefern. Diese können den Mitarbeitenden an der Ausgabe anschließend mitteilen, ob Ihnen die Portionsgröße des Mustertellers zu groß oder zu klein ist. So kann der individuelle Bedarf berücksichtigt werden. Findet keine direkte Kommunikation an der Ausgabe statt, weil die Gerichte vorportioniert werden, könnten Wünsche über die Portionsgröße ggf. an die Diätassistenz gerichtet werden.“4

Den Handlungsdruck erkannt

Dass das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit aber längst nicht nur auf den Vorstandsebenen großer Dachverbände, sondern auch in darunterliegenden, regionalen Gliederungen bis hin zu einzelnen Trägern in der Behindertenhilfe Fuß fasst, wird anhand einiger hier im Folgenden genannter Projekte und Initiativen deutlich:

So hat etwa auch der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln, der u.a. über 200 caritative Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe im Erzbistum Köln betreibt, den Handlungsdruck erkannt und die Stelle einer Klimaschutzbeauftragten geschaffen und eine „Koordinierungsgruppe Klimaschutz“ einberufen, „um Klimaschutz und Nachhaltigkeit im eigenen Haus systematisch voranzutreiben“.  

Neber einer im Netz veröffentlichten Selbstverpflichtung zum Klimaschutz untermauert der Verband seither seine Ziele und Ambitionen im Klimaschutz auch mit ganz praktischen Tipps und Veranstaltungen zum Thema. So kündigt er etwa für den 5. November dieses Jahres einen Fachtag in Köln an, bei dem es um den nachhaltigenUmgang mit Strom, Wärme, Trinkwasser und Abfall in stationären Einrichtungen der Alten-, Jugend- und Behindertenhilfe“ gehen soll. Die Teilnehmer:innen sollen „kurzfristig umsetzbare Anregungen, die Ressourcen und Kosten sparen können!“ erhalten.

Darüber hinaus gibt der Verband auf seiner Homepage jederzeit abrufbare Tipps zum Klimaschutz, etwa zum Aspekt „Richtig heizen im Büro“ und führt für interessierte User:innen aus:

  • „Wenn Fenster geöffnet werden, Heizkörper unbedingt auf  „* „ (Frostschutz) stellen.
  • Gekippte Fenster bitte grundsätzlich vermeiden.
  • Luftaustausch nur durch Stoßlüften – das gilt auch für die Konferenzräume. 5 Minuten reichen!
  • Wer ein Fenster öffnet, stellt sicher, dass es nach 5 Minuten wieder geschlossen wird – auch in Treppenhäusern, WCs und Konferenzräumen.
  • Treppenhaus, Flure und Toilettenräume haben auch ohne geöffnete Fenster ausreichenden Luftaustausch.
  • Zum Feierabend bitte in der eigenen Abteilung alle Räume inspizieren, ob Fenster (und ggfs. Türen) geschlossen sind.
  • Türen zu nicht genutzten Büros bitte geschlossen halten und die Heizung runterstellen.“5

Projekt „Klimaschutz und Inklusion“ in Bremen

Ein weiteres Beispiel für die Eigeninitiative von Trägern ist das Projekt Klimaschutz und Inklusion der diakonischen Stiftung Friedehorst in Bremen. Das noch bis Ende August 2025 laufende Projekt ist bereits das Folgeprojekt einer gleichnamigen, früheren Initiative des Trägers. Gefördert wird das aktuelle Projekt mit dem vollen Namen „Klimaschutz und Inklusion: Menschen mit und ohne Behinderung schützen das Klima in ihrem Quartier“ vom Bremer Senat. 

Das Projekt bringe den Gedanken der Inklusion und den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, zusammen und sorge für einen zielgruppengerechten Transfer in das Alltagshandeln, führt der Träger auf der Projekt-Subpage aus. Projektziele sind: Vernetzung im Quartier, Klimaschutzbewusstsein und -kenntnisse verankern sowie Vermittlung von einfachen Handlungstipps für den Alltag. Hierbei sollen Menschen mit und ohne Behinderung, junge und ältere Menschen auf dem Friedehorst Campus und in der Nachbarschaft in Bremen-Lesum gemeinsam erfahren, „welche Handlungsmöglichkeiten sie täglich haben, um das Klima und die Umwelt zu schützen – als Konsumierende, bei der Nutzung von Ressourcen oder in der Auseinandersetzung mit Pflanzen und Tieren. Dabei kooperieren wir mit einer Vielzahl an Organisationen aus Bremen“, so die Stiftung.

Ein anderer Weg: Kooperieren mit unterschiedlichsten Akteuren

Kooperation beim Thema Klimaschutz ist auch das Stichwort bei einer gemeinsamen Aktion der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit der Baumarktkette toom. Als gemeinsames Projekt hatten die Selbsthilfevereinigung und der Baumarkt bereits in jüngerer Vergangenheit zwei Broschüren zum Thema „Selbermachen leicht gemacht“ in Leichter Sprache erstellt. Nun folgte die dritte Broschüre der Reihe zum Thema Klima- und Naturschutz. Zu den Beweggründen zur Aktion heißt es in einer von der Lebenshilfe veröffentlichten Pressemitteilung: „Jeder Mensch sollte gleichermaßen die Möglichkeit haben, sich aus zuverlässigen Quellen über diese Themen zu informieren und aktiv zu werden.“ Daher behandele die dritte gemeinsame Broschüre der Reihe ,Selbermachen leicht gemacht‘ verschiedene Themen zum Klima- und Naturschutz im Garten und Haushalt leicht verständlich erklärt. Um diese Informationen auf verlässliches, unabhängiges Wissen über Klima- und Naturschutz zu stützen, habe der Verein ,Nationale Naturlandschaften‘ bei dieser Ausgabe mitgewirkt. Der Klimawandel betreffe „jede:n in unserer Gesellschaft und auch Menschen mit Behinderungen möchten sich aktiv am Umweltschutz beteiligen. Die Broschüre verbindet auf einfache Weise die großen gesellschaftlich wichtigen Themen mit praktischen Tipps für das eigene umweltbewusste Handeln“, erklärt Dominique Rotondi, Geschäftsführer Einkauf und Logistik und verantwortlich im Bereich Nachhaltigkeit bei toom Baumarkt.6

Für die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust, sind Kooperationen wie die mit der Baummarktkette ein Erfolgsrezept, um mit unterschiedlichsten Partnern gemeinsame gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Faust: „Ob Inklusion und Teilhabe, barrierefreie Sprache oder Klima- und Naturschutz – alles, was uns und die Gesellschaft voranbringt, schaffen wir nur durch die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure. Wir freuen uns, dass diese Kooperation mit toom Baumarkt immer wieder so gut gelingt – und das nun schon seit fast zehn Jahren!“

Zum Download der Broschüre in Leichter Sprache zum Thema Klima- und Naturschutz.

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Autor: Darren Klingbeil
Foto: Adobe Stock