Mit Managementkompetenz den Personalmangel mildern
Zu einer komplexer werdenden Leistungserbringung gesellt sich ein Mangel an Personal in der Eingliederungshilfe. Mit einer softwaregestützten, angepassten Personaleinsatz- und Dienstplanung können Managementverantwortliche gegensteuern. Aber auch zum Teil überkommene Organisationsstrukturen seien im Zuge eines aktiv gesteuerten Change-Management-Prozesses zu hinterfragen, sagt Unternehmensberater Carsten Effert im Experten-Interview.
Die Eingliederungshilfe ächzt unter einem sich zuspitzenden Fachkräfte- und Personalmangel. Wenn Sie auf die aktuelle Beratungspraxis schauen: Welche Ursachen verschärfen derzeit den Mangel an guten Köpfen am meisten?
Effert: Auch die Eingliederungshilfe steht vor der Herausforderung, dass die geburtenstarken Jahrgänge jetzt langsam ins Rentenalter kommen und eher geburtenschwache Jahrgänge nachkommen. Die, die noch da sind, müssen in den meisten Bundesländern recht grundlegende Veränderungen aufgrund der BTHG-Umsetzung hinnehmen. Dabei wandelt sich das eigene Berufsbild insbesondere in den Besondern Wohnformen teilweise sehr grundlegend. Das macht auch nicht jede und jeder mit.
Es finden sich zudem immer weniger Mitarbeitende, die bereit sind, Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf, bspw. aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten, zu betreuen. Gleichzeitig steigt hier der Bedarf. Die Situation wird für Anbieter von Besonderen Wohnformen noch dadurch verschärft, dass seit geraumer Zeit „Wanderungsbewegungen“ zu beobachten sind – weg von Angeboten mit Schicht- und Wochenenddiensten hin zu solchen, die vor allem tagsüber stattfinden, wie bspw. tagesstrukturierende Angebote.
Welche Spielräume im Bereich der Personalführung existieren da für die Träger noch? Welche Stellschrauben habe Leistungsanbieter, z. B. durch das Nachschärfen von Führungskompetenz, den Mangel an Mitarbeitenden zumindest ein Stück weit zu mildern?
Effert: Uns fällt immer wieder auf, dass das vorhandene Personal nicht gut eingesetzt wird. Dies beginnt häufig damit, dass in vielen Bundesländern bis heute keine Klarheit besteht, welches Personal in Anzahl und Qualifikation für eine bedarfsgerechte Betreuung wirklich benötigt wird. Hintergrund ist, dass vielfach über Jahre die Personalkosten (und damit in der Folge die verfügbare Personalmenge) pauschal erhöht wurden und die Systematik dahinter einfach fortgeschrieben wurde. Jetzt ändert sich mit der BTHG-Umstellung die Systematik – mit Folgen für die Mitarbeitenden, die ihre Arbeit häufig anders, weil bedarfsgerechter erbringen müssen, und für die wirtschaftliche Situation, weil die verhandelten Stellen jetzt auch nachgewiesen werden müssen.
In der Folge finden sich auch im Jahr 2024 noch immer wenig bedarfsorientierte Dienstpläne. Dadurch wird das Personal nicht immer so eingesetzt, wie es eigentlich erforderlich wäre, wodurch an anderer Stelle. z.B. für ein gutes Ausfallmanagement, wiederum Ressourcen fehlen.
Im Ergebnis ist diese Art der Personaleinsatz- bzw. Dienstplanung wenig verlässlich, weil sie regelmäßig kurzfristiges Einspringen („Holen aus dem Frei“) erforderlich macht. Und dies wiederum hat negativen Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und indirekt auch auf die Arbeitgeberattraktivität.
Und wenn man auf die Organisationsstrukturen blickt? In Zeiten der BTHG-Umsetzung wird die Arbeitswelt in der Eingliederungshilfe, wie Sie es eben beschrieben haben, nicht eben einfacher. Wie können Leistungsträger die Komplexität strukturell abmildern?
Effert: Die vorherigen Ausführungen zum Thema Dienstplanung haben m. E. auch viel mit Strukturfragen zu tun.
Ebenfalls ein Strukturthema sind die Leitungsstrukturen. Genau wie wenig bedarfsorientierte Schichtmodelle sind diese bei einigen Anbietern etwas „in die Jahre“ gekommen. Nicht jede Einrichtung braucht unbedingt eine alleinige Einrichtungsleitung, nicht jede Gruppe eine Gruppenleitung etc. Da die Refinanzierung von Leitung und Verwaltung in vielen Bundesländern gerade deutlich reduziert wird, ist man gezwungen sich Gedanken machen, wie viel Leitung auf welcher Ebene gebraucht wird. Dabei sind, je nach Art der Refinanzierung, alle Ebenen bis hin zu Vorstand/Geschäftsführung, also den Zentraloverhead, zu berücksichtigen, da alle aus dem Bereich Leitung und Verwaltung zu refinanzieren sind.
Ganz wichtig ist es, dass die Leistungserbringer die skizzierten Veränderungen als eigenständige Change-Management-Prozesse gestalten und die Mitarbeitenden sprichwörtlich „mitnehmen“.
Und schließlich stellt sich natürlich die Frage einer adäquaten Softwareunterstützung. Die angesprochene Komplexität lässt sich nur bedingt reduzieren, aber sie kann händelbar gemacht werden. Zwar sollten die Mitarbeitenden die neue Leistungssystematik nach BTHG grundsätzlich verstehen, aber es ist ihnen nicht zuzumuten, sich ständig Gedanken machen zu müssen, über welches Leistungsmodul ihre aktuell erbrachte Leistung gerade refinanziert ist. Hier hilft eine gute Abbildung der Leistungssystematik in der Software, was insgesamt mehr Klarheit bringt und Steuerung erst ermöglicht. Und das hilf allen, auch den Mitarbeitenden.
Ende April 2024 fand die Aktionswoche „#OhneFachkräfteKeineTeilhabe“ des evangelischen Fachverband für Teilhabe (BeB) statt. Bundesweit beteiligten sich 145 Einrichtungen und forderten mehr Wertschätzung für Fachkräfte in der Behindertenhilfe ein. Worin sollte sich diese Wertschätzung nach insbesondere ausdrücken? Welche Akteure sind hier in der Pflicht?
Effert: Hier sind sicherlich Aspekte wie die Erhöhung der Ausbildungsvergütung und ein bundeseinheitliches Ausbildungscurriculum bei Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern als wichtige Veränderungen zu nennen, die es aus gesetzgeberischer Sicht umzusetzen gilt.
Aber nicht nur den Gesetzgeber sehe ich in der Pflicht, sondern auch die Leistungserbringer. Daher sind Kampagnen wichtig. Ich persönlich halte es aber für etwas problematisch, wenn dabei die fehlende Wertschätzung in den Mittelpunkt gestellt wird, was es für Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger nicht unbedingt attraktiver macht… Besser wäre es, das Thema positiv zu wenden und die Vorzüge des Berufsfeldes stärker in den Fokus zu rücken.
Auch in der Eingliederungshilfe wird - ähnlich wie in der Pflege - das Anwerben internationaler Fachkräfte als eine Möglichkeit angesehen, die Personallücke zumindest etwas zu schließen. Wie bewerten Sie diese Aktivitäten?
Effert: Auch hier kommen zunächst einmal die grundsätzlichen Kritikpunkte an diesen Aktivitäten ins Spiel, u.a. der Vorwurf, dass man dadurch die sozialen Versorgungssysteme in den Herkunftsländern der ausländischen Fachkräfte schwächt.
Allerdings gestaltet sich die Situation in der Eingliederungshilfe in Teilen anders als die in der Pflege: Während es in der Pflege zunächst um – und das ist keinesfalls negativ gemeint! – „handwerkliche Tätigkeiten“ zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und Erhaltung des Gesundheitszustands geht, hat die Eingliederungshilfe eher einen „Entwicklungsauftrag“, für den insbesondere andere sprachliche Kompetenzen erforderlich sind. Dies schränkt die Auswahl an ausländischen Fachkräften deutlich ein.
Entwicklungspotenzial hat m. E. der Bereich „Incoming“ bei den Freiwilligendiensten. Da die FSJ- und BFD-Zahlen im Inland signifikant rückläufig sind, können junge Menschen aus dem Ausland diese Lücke teilweise füllen. Interessierte gibt es mehr als genug, und es ist scheinbar auch einfacher, den Freiwilligen nach dem Freiwilligendienst ein reguläres Ausbildungsangebot zu machen. Eine Hürde für viele Träger ist allerdings regelmäßig, dass eine Unterkunft zur Verfügung stehen muss.
Carsten Effert ist Unternehmensberater und Mitglied der Geschäftsführung der Rosenbaum Nagy Unternehmensberatung GmbH mit Sitz in Köln.
Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Interview: Darren Klingbeil
Foto: Adobe Stock