Jungen Erwachsenen beim Sprung ins Leben helfen

Start der Reihe: „Praxisporträt: Fokus Teilhabe“

Erwachsen und unabhängig zu werden, ist in einer immer komplexer werdenden Welt schon per se nicht leicht. Noch schwieriger haben es junge Menschen mit psychischer und kognitiver Beeinträchtigung. Hier setzt das Projekt „Jung. Erwachsen. Plus“ (JEP) der Rummelsberger Diakonie an. Es unterstützt die jungen Erwachsenen, den Weg in ein eigenständiges Leben zu gehen. Auftakt der Artikel-Serie „Praxisporträt: Fokus Teilhabe“. 

Ob Angststörungen, ADHS, Depressionen oder soziale Unsicherheiten – weil die Unterstützungs- und Hilfebedarfe der jungen Menschen, die bei JEP im Fokus stehen, ganz unterschiedlich sind, setzt das Programm gezielt auf deren individuelle Begleitung. Flexibilität steht im Vordergrund. Die Unterstützung sei „maßgeschneidert auf die betreute Person. So können auch alltägliche Herausforderungen wie der Aufbau eines stabilen Netzwerks, die Jobsuche und die Entwicklung beruflicher Perspektiven auf der Agenda stehen“, erklärt die Rummelsberger Diakonie in einer Pressemitteilung.

Die Betreuung gehe dabei über klassische Hilfsangebote hinaus, schließe die Lücke zwischen Jugend- und Erwachsenenhilfe. Wie das Angebot dabei konkret in der Praxis vorgeht, erklärt Daniela Wittmann, JEP-Projektleiterin bei den offenen Angeboten des Programms, hier auf redaktionelle Nachfrage: „JEP setzt neue Maßstäbe durch ein engmaschiges, fachlich kompetentes und individuelles Unterstützungsangebot, das speziell auf die besonderen Bedürfnisse junger Erwachsener zugeschnitten ist. JEP schließt damit die Lücke an der bislang zu wenig beachteten Schnittstelle zwischen Jugend- und Behindertenhilfe sowie Sozialpsychiatrie.“

Ziel des Trägers bei der Realisierung des Angebots sei, so die Projektleiterin, jungen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen oder komplexem Unterstützungsbedarf im Alter von 18 bis 30 Jahren „den Weg in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen – mit individueller Begleitung, die wirklich hilft“. Weitere Ziele bestünden darin, die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. Überzeugt zeigt sich Wittmann dabei, dass das Angebot gebraucht wird, denn: „Der Bedarf für eine solche Leistung ist groß, da der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter eine herausfordernde Entwicklungsaufgabe darstellt.“

Ein Engagement mit Perspektive

So eine neue Leistung organisatorisch und personell zu planen und in die Tat umzusetzen, erfordert Mittel und Visionen – zwei Aspekte, die bei JEP offenkundig gewährleistet sind. Das liegt auch, aber nicht nur, an der Projektförderung. Denn die Aktion Mensch fördert das Programm über einen Zeitraum von drei Jahren in einem Gesamtumfang von 150.000 Euro. Hinzu kommt die Kraft- und Mittelaufwendung, die der Träger selbst stemmt. Denn auch die Rummelsberger Diakonie übernimmt den bei solchen Förderungen üblichen Eigenanteil, hier in der Höhe von voraussichtlich ca. 53.000 Euro. Daneben gibt es den personellen Aufwand, den Daniela Wittmann wie folgt umschreibt: „Projektleitung und Fachdienst müssen sich in Bezug auf diese anspruchsvolle Klientel fachlich fort- und weiterbilden. Dieses Fach- und Praxiswissen muss zudem an alle Mitarbeitenden weitergegeben werden.“ Fachfortbildungen, Supervisionen sowie ein engmaschiger, kontinuierlicher Austausch im Team stellten dies sicher. Dann unterstreicht die Projektleiterin noch den oben genannten Aspekt der Vision, die der Träger mit dem Aufsetzen von JEP verfolgt. „Es handelt um ein neues Angebot, das wir gerne langfristig in unserem Leistungsspektrum der Offenen Angebote etablieren möchten. Langfristig soll das Konzept auf andere Standorte, an denen wir ambulant arbeiten, ausgeweitet werden.“

Ein Angebot im Aufbau

Weil das Angebot noch so neu ist, liegt es in der Natur der Sache, dass die Zahl der Klient:innen, die es in Anspruch nehmen können, noch überschaubar ist. So werden aktuell (Stand: Mitte Juli 2025) drei Menschen betreut. Ab Oktober dieses Jahres ist eine JEP-Wohngemeinschaft in Hilpoltstein (Landkreis Roth, unweit von Nürnberg) geplant. Dort sollen vier Personen aufgenommen werden. Wieviel Unterstützungsbedarf bei den einzelnen Menschen notwendig ist, sei individuell sehr unterschiedlich, erklärt Wittmann. Die Leistungsumfänge betrügen je nach Bedarf zwischen vier und 16 Stunden pro Woche.

Besonderes Fachwissen erforderlich

Deutlich wird, wie vielschichtig das Thema ist, dem sich das JEP-Team bei der individuellen Begleitung der jungen Menschen stellt. Dabei stehen unterschiedlichste Diagnosen und Themen im Vordergrund: AD(H)S, Depression, FASD oder Traumata. „Suchttendenzen oder Straffälligkeit in der Vergangenheit sind mögliche Marker im Leben der Klient:innen, ebenso eine kognitive Beeinträchtigung. Viele haben Brüche in ihren Biografien, mangelnde Bindungserfahrungen und eine erschwerte oder belastete sozial-emotionale Beziehungsfähigkeit“, erklärt Wittmann.

Das Unterstützungsangebot im Überblick:

  • Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen (z. B. Erwachsenwerden, berufliche Orientierung)
  • Weiterentwicklung lebenspraktischer Kompetenzen (Alltagsbewältigung)
  • Aufbau und Pflege sozialer Beziehungen (Familie, Freundschaften, Partnerschaften)
  • Umgang mit Ängsten (z. B. Arztbesuche, Einkäufe)
  • Zugang zu Fachärzten oder Sozialleistungen
  • Konfliktbewältigung und Reduzierung von Verhaltensauffälligkeiten
  • Entwicklung realistischer beruflicher Perspektiven
  • Umgang mit Geld und Wohnraumsuche

Um dieses Leistungsspektrum an die Frau bzw. an den Mann zu bringen, brauchen die Fachkräfte im JEP-Team spezielles Know-how. Sie „benötigen Fachwissen zu psychischen Erkrankungen, kognitiven Einschränkungen und komplexen psychosozialen Problemlagen“, fasst Wittmann zusammen. Im Einzelnen müssten ihre Kolleg:innen und sie in der Lage sein:

  • Beziehungen professionell und vertrauensvoll zu gestalten, die als Fundament für Veränderungsprozesse dienen
  • individuelle Unterstützungspläne zu entwickeln, die auf sehr unterschiedliche Bedarfe eingehen
  • emotionale Stabilität zu fördern und Konfliktbewältigungsstrategien zu vermitteln
  • lebenspraktische Kompetenzen und soziale Fähigkeiten zu stärken
  • flexibel auf sehr unterschiedliche, auch herausfordernde Verhaltensweisen zu reagieren
  • Brücken zwischen Jugend- und Erwachsenensystemen zu schlagen und Synergien mit bestehenden Angeboten zu nutzen

Zentrale Elemente dabei seien „Empathie, Kontinuität, wertschätzende Haltung und ein hohes Maß an Fachlichkeit“. Im Projekt JEP würden überwiegend akademische Fachkräfte (Sozialpädagog:innen/ Heilpädagog:innen) eingesetzt. Zudem arbeiteten hier Heilerziehungspfleger:innen oder Erzieher:innen. Hinzu kämen Hilfskräfte mit Erfahrungen im Arbeitsfeld.

Erste „Sprungversuche“ belegen: Das Angebot wirkt

Auch wenn das JEP-Angebot noch neu ist, so zeigt sich doch schon nach kurzer Zeit, dass der fachliche Ansatz wirkt. Dass er Früchte trägt. Bezeichnenderweise wissen die Projektleiterin und ihr Team von ersten Erfolgsbeispielen zu berichten, die für sich sprechen:   

  • Eine junge Frau mit posttraumatischer Belastungsstörung wird bei Einkäufen oder Arztterminen begleitet, um ihre Ängste abzubauen.
  • Ein junger Mann aus dem Autismus-Spektrum erhält Hilfe beim Aufbau sozialer Kontakte und bei der Suche nach einer beruflichen Perspektive.
  • Ein weiterer junger Mann mit ADHS und FASD wird bei der Wohnungssuche, im Umgang mit Geld und bei Konfliktsituationen unterstützt.

„Diese Beispiele zeigen, wie JEP durch individuelle Begleitung lebenspraktische und psychosoziale Verbesserungen erreicht“, zieht Daniela Wittmann ein erstes Zwischenfazit.

„Das BTHG ist hilfreich“

Die Rummelsberger Diakonie hat die Leistung JEP aufgelegt, weil der Träger die oben beschriebene Lücke im Leistungssystem identifiziert hat und sie in der Praxis schließen möchte. Dafür muss so ein Vorhaben natürlich den Status als Projekt nach dessen Ablauf erfolgreich hinter sich lassen und den Übergang in die Regelversorgung schaffen. Kann das Bundesteilhabegesetz (BTHG) dabei helfen? Daniela Wittmann ist diesbezüglich zuversichtlich und sagt: „Grundsätzlich ist das BTHG hilfreich, denn im SGB IX wurden die entsprechenden Weichen gestellt, damit ebendiese Zielgruppe von den Leistungen profitieren kann. Wir können somit inzwischen Leistungsvereinbarungen mit den Kostenträgern abschließen.“

Zugleich formuliert die Praktikerin den Verbesserungsbedarf, den sie an die derzeit zuständigen, unterschiedlichen Leistungsträger wie folgt adressiert: „Was verbessert werden muss, ist die Möglichkeit Kostenübernahmen mit den Jugendämtern abzuschließen. Zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr finanzieren sie die Leistungen der jungen Erwachsenen – ab dem 21. Lebensjahr übernimmt das der Bezirk.“  Darüber hinaus müsse das Fach- und Spezialwissen (aus den Bereichen Jugend- und Behindertenhilfe, sowie Sozialpsychiatrie) rund um diese wachsende Zielgruppe breiter im Hilfeleistungssystem verankert werden, fordern Wittmann und ihr Team. Der Aufbau dieses Fachwissens sollte nicht nur auf Leistungserbringer- und Kostenträgerseite, sondern zum Beispiel auch bei Beratungsstellen, Ärzt:innen oder Lehrer:innen erfolgen, sagen die Praktiker:innen, denn: „Wir erhalten häufig von zuweisenden Stellen die Rückmeldung, dass genau dieses Angebot bislang noch gefehlt hat.“


Daniela Wittmann ist Projektleitering von „Jung. Erwachsen. Plus (JEP)“.

Mehr Infos zur Rummelsberger Diakonie:www.rummelsberger-diakonie.de

Weitere Infos zum Projekt

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Autor: Darren Klingbeil
Fotos: Rummelsburger Diakonie