Schulbegleitung: Synergien nutzen und Rahmenbedingungen verbessern

Experteninterview mit Kai Pakleppa, Referatsleiter Konzepte der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.

Auch Kinder und Jugendliche mit seelischen, geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen haben das Recht, an eine Regelschule zu gehen. Damit sie den Schulalltag möglichst selbständig bewältigen können, gibt es Schulbegleiter:innen, die die Kinder zielgenau bei ihren Bedürfnissen unterstützen. Doch das Angebot steht vor zahlreichen Herausforderungen. Schulbegleitungen sollten stärker in das System Schule integriert werden und durch Poolmodelle Synergien genutzt werden, sagt Sozial- und Rechtswissenschaftler Kai Pakleppa.

Die Schulbegleitung hat sich inzwischen bundesweit als wichtige Leistung etabliert. Vor welchen Problemen und Herausforderungen steht das Angebot?

Pakleppa: Zunächst einmal gibt es bei der Ausgestaltung von Schulbegleitung kein bundesweit einheitliches Vorgehen. Zwischen den Bundesländern und sogar zwischen einzelnen Kommunen können die Verfahrenswege und die praktische Umsetzung sehr unterschiedlich sein.

Ein zentrales Problem ist, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ganz unterschiedliche Bedarfe haben und daher die Qualifikationen, die eine Schulbegleitung mitbringen sollte, sehr unterschiedlich sind. Manche Kinder brauchen zum Beispiel Unterstützung bei der Mobilität, etwa eine Begleitung beim Gang auf den Pausenhof – der Gesetzgeber spricht von einfacher Assistenz, eine pädagogische Qualifikation ist nicht notwendig. Andere Kinder, etwa mit sogenannter geistiger Beeinträchtigung, benötigen Anleitung und Unterstützung beim Bearbeiten des Unterrichtsstoffs. In diesen Fällen braucht es pädagogisch qualifizierte Mitarbeitende oder speziell qualifiziertes Fachpersonal, etwa Heilerziehungspfleger:innen. Da ist es schon eine große Herausforderung, jeweils Mitarbeitende mit der passenden Qualifikation zu finden.

Dazu kommt der aktuelle Fachkräftemangel im gesamten sozialen Bereich. Die Arbeitsbedingungen in der Schulbegleitung sind hier für viele leider nicht so attraktiv: Die Bezahlung ist verhältnismäßig gering und Arbeitsverträge sind oft befristet, da auch die Unterstützung meist nur befristet bewilligt wird. All das macht es schwierig, ausreichend Mitarbeitende zu finden. Das führt auch dazu, dass es immer häufiger zu Personalausfällen kommt. Eltern berichten zunehmend, dass sie dann von den Schulen angerufen werden und ihr Kind abholen sollen. Das betrifft insbesondere Kinder und Jugendliche, die eine intensive Unterstützung brauchen, die die Lehrer:innen für sie nicht leisten können. Das ist in mehrerer Hinsicht problematisch: Zum einen bekommt das Kind nicht die Bildung und Erziehung, die ihm zusteht und zum anderen stellt es eine erhebliche Belastung für die Eltern dar.

Was ist aus Sicht der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. besonders wichtig, um eine zuverlässige Schulbegleitung zu gewährleisten?

Pakleppa: Aus unserer Sicht sollte es in allen Bundesländern klare und vergleichbare Rahmenbedingungen für die Schulbegleitung geben, wobei eine ausreichende Finanzierung sichergestellt sein muss. Die Rahmenbedingungen sollten so gestaltet sein, dass es für die Kinder und ihre Eltern ein verlässliches Angebot mit passend qualifiziertem Personal gibt. Sinnvoll wäre es, wenn der Schulträger auch Leistungsträger für die Schulbegleitung wäre und die Eingliederungshilfe nur einspringt, wenn die Unterstützung durch die Schule nicht ausreicht. Zumindest sollte es verbindliche Regelungen zwischen Leistungsträger und Schule geben und die Schulbegleitungen sollten fest und möglichst langfristig in die Schule eingebunden sein.  

„Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind zuallererst Kinder und Jugendliche.“

Aktuell findet die zweite Stufe der Reform der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe statt. Der Bundesverband Lebenshilfe  e. V. hat eine Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes vorgelegt. Wie ist Ihre Einschätzung zu den geplanten Neuregelungen?

Pakleppa: Geplant ist, dass alle Leistungen für Kinder und Jugendliche unter dem Dach des Kinder- und Jugendhilfegesetzes erbracht werden. Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind zuallererst Kinder und Jugendliche. Deshalb ist es überfällig, dass die Jugendhilfe auch für die Leistungen zur Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zuständig wird. Aktuell ist es so, dass Leistungen für Kinder und Jugendliche mit seelischen Beeinträchtigungen über das Jugendamt, Leistungen für Kinder und Jugendliche mit sogenannten geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen jedoch über das Sozialamt und nach SGB IX erbracht werden. Nach dem Entwurf würden dann auch Schulbegleitungen als „Leistungen zur Entwicklung, Erziehung und Teilhabe“ nach SGB VIII erbracht werden. Aus unserer Sicht ist es sehr sinnvoll, dass für alle Kinder und Jugendlichen die gleiche Regelung gelten soll. Das erfordert zwar zunächst eine große Verwaltungsreform, aber das ist unserer Meinung nach machbar und würde zukünftige Abläufe deutlich erleichtern.

Sorge bereitet uns, dass im Gesetzentwurf nur eine „sollte“-Regelung für den Abschluss einer Leistungsvereinbarung für ambulante Leistungen vorgesehen ist, zu denen auch Schulbegleitungen zählen. Aus unserer Sicht muss hier zwingend ein Anspruch auf Leistungen im Gesetz stehen. Weiterhin fordern wir, dass die Regelungen, welche Kinder und Jugendlichen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, verständlich und anwenderfreundlich formuliert werden.

Welche positiven Ansätze gibt es bereits, die noch stärker umgesetzt werden sollten?

Pakleppa: Poolmodelle, bei denen eine Schulbegleitung mehrere Kinder betreut, sind eine gute Lösung – und sie kommen auch immer häufiger zum Einsatz. Eine Schulbegleitung ist dabei nicht fest bestimmten Kindern zugeordnet, sondern wird bedarfsgerecht eingesetzt. Auf diese Weise werden knappe Resourcen gebündelt und eine Vertretung ist einfacher möglich, wenn eine Schulbegleitung mal ausfällt. Gleichzeitig wird so eine Stigmatisierung des Kindes – weil es als einziges ständig von einem Erwachsenen begleitet wird – vermieden und seine Eigenständigkeit gefördert.

In Berlin wird Schulbegleitung als Maßnahme der ergänzenden Pflege und Hilfe durch die Schulverwaltung verantwortet und die Leistungen werden im Sinne eines Poolmodells erbracht.  Die Antragstellung und die Koordination erfolgt durch die Schulen. Diese arbeiten mit einem Leistungserbringer fest zusammen, der das Personal für die Schulbegleitung bereitstellt. Wie bei allen Poolmodellen kann für individuelle Bedarfe, die nicht durch die gruppenbezogenen Leistungen gedeckt werden, zusätzlich Eingliederungshilfe beantragt werden.

Das sind aus unserer Sicht gute Regelungen, die auch in anderen Bundesländern umgesetzt werden sollten. Denn dadurch kommen über längere Zeit die gleichen Schulbegleiter:innen an eine Schule und betreuen die Kinder im Idealfall über mehrere Jahre. Durch die feste Zusammenarbeit können an der Schule feste Abläufe hinsichtlich der Schulbegleitung entwickelt werden und Schulbegleiter:innen und Lehrer:innen können sich regelmäßig über die Kinder austauschen.

Was sollte beim Angebot des schulbegleitenden Dienstes weiter verbessert werden?

Pakleppa: Ideal wäre es, wenn Schulbegleitung im Rahmen eines inklusiven Schulsystems Aufgabe der Schule wäre. Nur bei Kindern und Jugendlichen, die zusätzliche Unterstützung benötigen, die sie im Regelsystem nicht erhalten, sollte die Unterstützung über die Eingliederungshilfe erfolgen.

Schulbegleiter:innen sollten längerfristige Arbeitsverträge und eine angemessenen Bezahlung erhalten, die den Beruf attraktiv macht und angemessene Qualitätsstandards ermöglicht. Hierfür braucht es Leistungsvereinbarungen und eine entsprechende Refinanzierung. Dabei sollten auch Zeiten für die Einarbeitung, Vorbereitung, Fortbildung oder Krankheitstage berücksichtigt werden. Wichtig wäre auch, Qualitätsstandards für die Aus- und Weiterbildung und für die Tätigkeit als Schulbegleitung zu entwickeln. Darüber hinaus sollten die Schulbegleitung in ihrem Verlauf dokumentiert und auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

Info zur Person:

Kai Pakleppa hat Erziehungswissenschaft, Soziologie, Psychologie und öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin studiert und leitet das Referat Konzepte der Abteilung Konzepte und Recht der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Interview: Christine Amrhein
Foto: Adobe Stock

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Weitere Quellen

Schulbegleitung. Ein Positionspapier der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. November 2015. https://www.lebenshilfe.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Wissen/public/Positionspapiere/Positionspapier_2015-11_Schulbegleitung.pdf

Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V.: Zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG) des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 02.10.2024. https://www.lebenshilfe.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Wissen/public/Stellungnahmen/241001_Stellungnahme_Inklusive-Kinder-und-Jugendhilfe.pdf

Die Reform der Kinder- und Jugendhilfe. Artikel auf der Webseite der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. https://www.lebenshilfe.de/informieren/kinder/reform-der-kinder-und-jugendhilfe

Informationen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie von Berlin zu schulischen Inklusionsassistent:innen https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/inklusion/ergaenzende-pflege-und-hilfe/