Selbstbestimmt leben in der eigenen Wohnung

Serie Praxisporträt: Fokus Teilhabe, Teil 2

Für viele Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ist es ein entscheidender Schritt in die Selbstständigkeit, in der eigenen Wohnung leben zu können. Mit ihren Leistungen im „Ambulant Betreuten Wohnen“ ermöglicht die Diakonie Michaelshoven in Köln genau diesen Schritt. Etwa mit dem inklusiven Wohnprojekt in Köln-Kalk. Es zeigt nun schon seit 21 Jahren, wie Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in Gemeinschaft zusammenleben können.

Raus aus der Wohngruppe – rein in die eigenen vier Wände! Mit ihren inklusiven Wohnprojekten ermöglicht die Diakonie Michaelshoven Menschen mit Beeinträchtigung seit Langem diesen Weg in ein selbstbestimmtes Leben als Teil der Gesellschaft. Der Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe dabei: selbständiges Leben ermöglichen, ohne die Menschen alleine zu lassen.

Im inklusiven Wohnprojekt in der Engelstraße in Köln-Kalk verfolgen Fachkräfte der Diakonie Michaelshoven dieses Ziel erfolgreich und konsequent seit über zwei Jahrzehnten. Im August 2024 feierte das Projekt bereits sein 20-jähriges Bestehen. „Unser Fokus liegt auf individueller Unterstützung im Alltag, Hilfe zur Selbsthilfe, Alltagsstrukturierung und sozialer Teilhabe im Quartier. Die Klient:innen sollen ihr Leben selbst gestalten können – mit der nötigen punktuellen und personenzentrierten Assistenz“, beschreibt Erkut Altug, Verbundleiter Ambulant Betreutes Wohnen der Diakonie Michaelshoven, die das Angebot tragende konzeptionelle Leitidee. Er fasst die Zielsetzung des Trägers dabei ergänzend so zusammen: „Wir möchten Menschen dabei begleiten, sie in ihren Kompetenzen und Ressourcen dahingehend zu unterstützen, dass sie selbstständig leben können.“

Über 100 Menschen konnten so in den letzten Jahren von Wohngruppen des Trägers in die Eigenständigkeit wechseln und werden dort weiterhin bedarfsorientiert begleitet. Im Projekt in der Engelstraße wohnen aktuell noch acht der ursprünglich 15 Leistungsberechtigten aus der Anfangszeit in den Wohnungen des Projekts. Insgesamt betreut das Team ca. 45 leistungsberechtigte Personen im Rahmen des Ambulant Betreuten Wohnens in der Region.

Das Team besteht zurzeit aus sieben Fachkräften und einer Ergänzungskraft. Allen werden vom Träger fortlaufend fachliche Fortbildungen zu relevanten Themen ihres Arbeitsbereichs ermöglicht. Die personelle, wirtschaftliche und fachliche Steuerung liegt bei Erkut Altug als Verbundleiter. Ihm und den Teammitgliedern steht ein Regionalbüro vor Ort zur Verfügung, das der besseren Erreichbarkeit dient.

Besonderen Bedarfen mit Fachkompetenz begegnen

Weil das Leben komplex ist und tagtäglich diverse Herausforderungen bereithält, brauchen die Menschen im Wohnprojekt Unterstützung in unterschiedlichsten Lebensbereichen. Insbesondere „bei der Organisation des Alltags, im Bereich Gesundheit (Arztbesuche, Medikamentenmanagement), bei Haushaltsführung, Ernährung sowie im Umgang mit Behörden und Finanzen“, sagt Altug. Auch sei die Kommunikation mit Ärzten oder Ämtern für viele Leistungsberechtigte oft schwer verständlich, „weshalb Begleitung notwendig ist“. Darüber hinaus spielten emotionale und soziale Herausforderungen, z. B. Einsamkeit oder Konflikte mit Nachbarn, eine große Rolle im Betreuungsgeschehen.

Um diesen Unterstützungsbedarfen gerecht werden zu können, benötigten die im Projekt arbeiteten Fachkräfte das erforderliche Fachwissen. Das Spektrum ist dabei überaus komplex, wie der Verbundleiter zu berichten weiß: „Unsere Fachkräfte benötigen Kenntnisse in (heil-)pädagogischer und sozialpsychiatrischer Arbeit, in rechtlichen Grundlagen (z.B. SGB IX und SGB XII, BTHG, Betreuungsrecht), individueller Förderplanung sowie Kenntnisse über verschiedene Behinderungsbilder. Fortbildungen über die emotionale Entwicklung von Erwachsenen mit kognitiver Beeinträchtigung, Umgang mit herausforderndem Verhalten und einfacher Sprache sind zentral. Wichtig sind zudem Geduld, Empathie, ein inklusives Menschenbild und Flexibilität.“

Vom Know-how der Fachkräfte im Team und von der ausreichenden Zahl an Kolleg:innen lebt natürlich auch das Team des Ambulant Betreuten Wohnens. Und aktuell sei dieses Team auch „gut aufgestellt“, sagt der Verbundleiter. „Die Fachkräfte sind langjährig dabei, kennen die Leistungsberechtigten sehr gut und ermöglichen dadurch schnelle, passgenaue Unterstützung.“ Doch neue, gute Bewerber:innen zu finden, werde zunehmend schwieriger, vor allem solche mit fachlicher Qualifikation, so wie es in der gesamten Branche leider vermeldet wird“, weiß auch Erkut Altug.

Jubiläum: 75 Jahre Diakonie Michaelshoven

  • Im Jahr 2025 feiert der Träger sein 75-jähriges Bestehen
  • Gegründet wurde die Diakonie Michaelshoven 1950
  • Sie betreibt Standorte in: Köln, Leverkusen, Rheinisch-Bergischer-Kreis, Oberbergischer Kreis, Rhein-Sieg-Kreis, Mönchengladbach.
  • Mitarbeitende aktuell: Über 3.000
  • Ehrenamtler:innen: 650
  • Einrichtungen: Mehr als 200
  • Angebot: u.a. Kinder- und Jugendhilfen, Eingliederungshilfen, Altenpflege, Kindertagesstätten, Soziale Hilfen, Berufliche Reha, Aus- und Weiterbildung, Integration in Arbeit, Gastronomie, Zeitarbeit
  • Info: www.diakonie-michaelshoven.de

Praktische Beispiele gelungener Inklusion

Wie wichtig es ist, dass auch künftig genügend und gut ausgebildete Fachkräfte Trägern wie der Diakonie Michaelshoven zur Verfügung stehen, um Projekte wie das in der Engelstraße aufrecht halten zu können, zeigt die Bilanz des Angebots. Es speist sich aus der Summe vieler individueller Erfolgsgeschichten, sagt Altug: „Viele Leistungsberechtigte leben seit Jahren erfolgreich selbstständig – auch mit komplexen Diagnosen wie Autismus. Ein Beispiel ist ein Bewohner, der sich seit über 20 Jahren eine stabile Tagesstruktur aufgebaut hat. Auch die gewachsene Nachbarschaft, in der unsere Leistungsberechtigte eingebunden sind, zeigt gelungene Inklusion.“

Die Einschätzung, ob die Reform der Eingliederungshilfe durch das Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eine Erleichterung für Projekte wie das in der Engelstraße darstellt, fällt aus Sicht des Praktikers gemischt aus. Grundsätzlich, sagt Altug, habe das BTHG zwar die Idee der Teilhabe gestärkt und ambulante Wohnformen aufgewertet. Die Umsetzung in der Praxis sei jedoch komplex und bringe hohe administrative Anforderungen mit sich. „Eine passgenaue Begleitung wird dadurch nicht automatisch leichter, da die finanzielle Planungssicherheit und die Angebotssteuerung mit vielen Hürden verbunden bleiben.“

Schnittstellenprobleme sieht der Verbundleiter darüber hinaus auch zum Lebensbereich der Teilhabe durch Arbeit. „Herausforderungen bestehen in der Zusammenarbeit mit Werkstätten, da viele Leistungsberechtigte nicht dort arbeiten möchten, aber alternative Beschäftigungsangebote fehlen.“ Und auch im generellen Mangel an geeigneten Wohnangeboten für älter werdende Menschen mit Beeinträchtigung sieht Erkut Altug eine wachsende Herausforderung. „Bei der Suche nach altersgerechten Wohnformen für älter werdende Leistungsberechtigte gibt es große Lücken.“

Aus der BeWoPlaner-Redaktion
Autor: Darren Klingbeil
Fotos: Diakonie Michaelshoven